Nina Caprez : Die Freude am Fels & das Wesentliche im Leben

„Meine Motivation für das Projekt war so gross, ich fühlte mich von Anfang an als Gewinnerin.“

Inspiration Spitzensport: Nina Caprez, die Medien haben breit darüber berichtet: Du hast diesen September zusammen mit Barbara Zangerl „Unendliche Geschichte“ im Rätikon (8b+, 12Sl.), eine der härtesten Mehrseil-Felstouren geklettert. Kannst du uns eine Vorstellung von der Schwierigkeit dieser Route vermitteln?

 

Nina Caprez: Die 400 Meter lange Route ist körperlich und mental etwas vom Anspruchsvollsten, das ich je geklettert bin: 7c+ obligatorisch, in der Mitte folgt eine 8b+ auf eine 8b Länge. Die ersten Längen davor sind streng, gefährliches Terrain und haben richtig weite Hakenabstände. Stürze von bis zu 30 Meter lassen sich nicht vermeiden. In Anbetracht, dass der letzte und bisher erst zweite Durchstieg 10 Jahr zurück liegt, sind auch keinerlei Kletterspuren auszumachen. Die Wand ist sehr schwer lesbar. Am Anfang sind wir einfach mal drauf los. Bis am Ende des vierten Tages waren wir noch überzeugt, dass die Tour für uns unmöglich ist. Erst ab dem fünften Tag kamen wir in den Projektmodus. Ab diesem Zeitpunkt haben wir unseren ganzen Alltag auf die Route fokussiert: Ernährung, Schlaf, Erholung, kein Alkohol, mentales Fokussieren.


Ich selbst werde oft gefragt, warum ich mir diese Strapazen, Risiken und Entbehrungen für eine Route oder einen Berg antue? Wie siehst du das?

Eine harte Tour zu projektieren, sich laufend zu verbessern, an der Route zu wachsen, ist einfach das Beste! Du setzt dir ein Ziel, das du wirklich erreichen willst. Du gibst alles dafür. Doch der Prozess des Kletterns gibt dir enorm viel zurück. Man wird immer stärker. Die schwierigsten Passagen verlangen kreative Lösungen. Die Schönheit der Bewegung. Man geht richtiggehend in der Aktivität auf. Natürlich machen die Stürze Angst, man friert, man leidet. Doch in dem Moment, in dem du den ersten Griff zupackst, gibt es nur noch dich, den Fels und die Bewegung. Das ist wie ein Schalter. Dein Körper und dein Geist stellen auf „Durchstiegs-Modus“ um. Das Projekt hat mich so motiviert, ich fühlte mich von Anfang an als Gewinnerin. Alles hat gestimmt. Das ist schon eine einmalige Erfahrung. Und dass wir die Route durchgestiegen haben, war quasi der Bonus. Dann bist du auch wirklich auf den Erfolg stolz. Doch das Wichtigste ist die Freude am Prozess. Dieses Gefühl der Lebendigkeit. Ich glaube das ist es, dafür lebe ich, diese Lebendigkeit und völlige Präsenz erleben zu dürfen.

 

Und wenn es noch mit einer Seilpartnerin sein darf, ist es doppelte Freude?!

Total, dann wird es zu einem richtigen Highlight. Wenn du einen Spielpartner findest, der ähnliche Fähigkeiten besitzt wie du, dann geht die Post ab. Barbara und ich haben zurzeit exakt dasselbe Niveau. Wir wussten, was für die eine möglich ist, geht auch für die andere. So haben wir gemeinsam nach Lösungen gesucht, gemeinsam trainiert und vor allem, hatten wir einen riesen Spass. Mann, hatten wir ein Gaudi in der Felswand! Es war für mich das erste Grossprojekt mit einem Partner mit demselben Niveau. Wir harmonisierten extrem gut. Wir teilen dieselben Werte, wir vertrauen uns wortlos. Gemeinsam verfolgst du dasselbe Ziel. Im entscheidenden Moment ist dein Partner voll bei dir und freut sich auch über meinen Fortschritt. Da ist keine unnötige Konkurrenz. Schlechtes Wetter und Rückschläge stehst du gemeinsam durch. Das ist Flow pur! Für uns war klar, dass das Projekt erst dann beendet ist, wenn beide den Durchstieg geschafft haben. Umso schöner, dass dies praktisch gleichzeitig der Fall war.

 

Diesen Flow hast du gemäss deiner Aussage letztes Jahr vorübergehend verloren. Was war geschehen?

Ja, da bin ich in eine Krise als Kletterin geraten. Ich war fit, ich habe harte Touren im Bereich 8c+ geklettert. Ich geriet in eine ziemliche Leistungsspirale. Logischerweise hatte ich grosse Ambitionen, eine 9a zu klettern. Quasi der nächste Schritt, den ich mir abverlangte. Die Freude ging langsam verloren und die Leistung implodierte. Eigentlich wusste ich es schon lange, doch ich musste es mir von neuem eingestehen: Nina, das ist nicht dein Ding. Deine Leidenschaft schlägt für andere Projekte, eher unkonventionelle Touren. Diese Krise hat mich sehr viel über mich und meine Leistungsfähigkeit gelehrt. Ich habe wieder zur Freude zurückgefunden und bin wieder mit extrem viel Spass und super Fitness unterwegs. Ich will kein Superstar sein. Im Vordergrund steht dieser Kletterspirit und Lebensstil. Das will ich leben und dann bin ich wirklich stark am Fels.

 

Unsereiner „Normalo“ wird sich nicht in dieselben Felsabenteuer wie du stürzen. Doch was meinst du, braucht es, um auch in anderen Lebensbereichen, diesen „Flow“, dieses Gefühl der Erfüllung und der Entfaltung der eigenen Fähigkeiten, zu erleben?

Ich bin überzeugt, dieses Gefühl ist jedem zugänglich. Und das unabhängig von der Aktivität. Wichtig ist wohl, dass man herausfindet, was man richtig gerne tut. Die Motivation für diese Sache ist dann so gross, dass man automatisch besser wird. Dann ist man auch bereit, dran zu bleiben und Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen. Man muss sich auch vom Vergleichen mit Anderen oder von dem, was „richtig“ ist, lösen. Das lenkt nur von sich und den eigenen Möglichkeiten ab. Und wenn man noch einen Spielpartner findet wie ich dies mit Barbara hatte, dann geht mal richtig was!



Meinst du in diesem Flow findet man die Freude und den Frieden, den wir insgeheim wohl alle suchen?

Daran glaube ich fest. Es ist dieses Gefühl der Präsenz und der Lebendigkeit. Das ist es wohl auch, was ich permanent suche und zu leben versuche. Es braucht keine Heldentaten. Doch gefordert wird wohl Hingabe, Leidenschaft und Fokussierung. Für mich trifft das aktuell auch für den Umbau meiner Wohnung oder Vorträge geben zu. Ich mag das, weil ich darin wie beim Klettern, meine Kreativität ausleben und etwas Kleines weitergeben und bewegen kann.

 

Du hast dich vor einigen Jahren für einen ziemlich radikalen Lebenswandel entschieden. Verantwortung übernehmen und sein eigenes Leben in die Hand nehmen ist nicht nur romantisch. Es setzt auch Mut, Selbstvertrauen und Risikobereitschaft voraus. Wie war das bei dir?

Ja, mein Wohnsitzwechsel von der Schweiz nach Frankreich war eine grosse Veränderung und ein Schritt in die Unsicherheit. Das hat fast niemand verstanden. Doch ich wusste, dass wenn ich meinen Lebensstil und meine Werte leben will, würde ich auswandern müssen. Davor wurde ich krank. Es brauchte viel Mut und Überwindung, doch es war eine sehr wichtige Lebensentscheidung. Für mich und meinen Weg. Wenn wir uns zu einem Weg zwingen, der für uns nicht stimmt, dann leiden die Gesundheit und die Lebendigkeit darunter. Dann wird man wohl nie die Erfahrung machen können, welche Fähigkeiten wirklich in einem stecken. Und das wäre sehr schade.

 

Letzte Frage: Stell dir vor, Nina mit 80. Mit Kletterbuckel und Gichtfinger. Du schaust zurück. Was war wirklich wichtig und wertvoll?

Ich habe die Dinge getan, die mir wichtig waren und sie intensiv gelebt. Wirklich von Bedeutung war die Liebe zu tiefgründigen Sachen. Dinge, die mich innerlich bewegt haben. Ich habe mich von Menschen und dem Leben berühren lassen. J’ai fait les choses bien.

Inspiration Spitzensport und Coaching Dino Beerli befassen sich mit der Frage, unter welchen inneren und äusseren Voraussetzungen Menschen ihre natürliche Fähigkeit zur persönlichen Höchstleistung und Erfüllung entfalten können. Coaching Dino Beerli begleitet Führungspersönlichkeiten und Spitzenteams dabei, das Beste in sich zu entwickeln. Infos: coaching-db.ch  Team Inspiration Spitzensport: Ueli Steck, Nina Caprez, Simone Niggli-Luder, Ariella Kaeslin, Daniel Albrecht

 

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Kommentare: 6
  • #1

    Hans K. (Mittwoch, 30 September 2015 20:55)

    Bewegend! Besten Dank für den Mutmacher für's Leben

  • #2

    Janine Sommer (Mittwoch, 30 September 2015 21:11)

    Wow. eine junge Frau und schon so viel vom Wesentlichen verstanden. Chapeau

  • #3

    Sabine Wermuth (Mittwoch, 30 September 2015 22:08)

    "Intensiv leben und die Dinge tun, die uns wirklich wichtig sind." Mehr davon! Freut mich, wenn immer mehr Menschen, ihrem Leben Sinn und Richtung geben. Dann lohnt es sich "hier gewesen zu sein".

  • #4

    A.M. (Donnerstag, 01 Oktober 2015 08:59)

    Motivation und Teamwork pur! :-)

  • #5

    Hape Beerli (Donnerstag, 01 Oktober 2015 22:39)

    Leidenschaft, Freude, Hingabe, Zuversicht -für das, was du machst! Wunderschön.

  • #6

    Devorah Oates (Donnerstag, 02 Februar 2017)


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