Ueli Steck: "Ich habe zu meinem Eigenen zurück gefunden und bin motivierter und fitter denn je."

Im Sommer 2015 vollbringt der Profi Bergsteiger Ueli Steck einmal mehr das scheinbar Unmögliche:  In 61 Tagen besteigt er alle 82 4000er der Alpen. Was war Ueli Steck‘s Motivation? Und inwiefern hat ihn das Projekt „82 summits“ persönlich wachsen lassen?


Inspiration Spitzensport: Ueli Steck, normalerweise verbringen Profiberg-steiger den Sommer auf Expedition im fernen Himalaya, Alaska etc. Weshalb hast du das Projekt „82 summits“ in Angriff genommen?

 

Ueli Steck: Ich wollte ein Projekt, bei dem die Freude im Vordergrund steht – die Freude am Bergsteigen und an der körperlichen Leistung. In den letzten Jahren war ich voll fokussiert auf anspruchsvolle Besteigungen im Himalaya. Speed und Solo Begehungen, neue Linien. Ständig auf der Suche nach noch härteren Herausforderungen. Man gerät automatisch in den „noch riskanter und schwieriger“ Film. Man muss aufpassen, dass man die rote Linie nicht zu oft überschreitet. Denn die Sucht nach der Grenzerfahrung, meine Fähigkeiten an Herausforderungen zu messen, kann in letzter Konsequenz tödlich sein. Auch ist die Gefahr gross, sich zu sehr an den Anforderungen der Öffentlichkeit und den Sponsoren zu orientieren: Was wird von mir als Profialpinist verlangt? Was ist der nächste Schritt, den das Publikum will? Der Drang nach der puren Leistung und der Gefahr ist verlockend, doch er entfernt mich von mir selber. Viele, vor allem junge Bergsportler, verlieren sich dabei und gehen unangebrachte Gefahren ein.

Kannst du das genauer erläutern?

Verständlicherweise wollen Sponsoren gefährliche Touren, aufregende Fotos und gute Stories. Dank meiner Erfahrung weiss ich unterdessen, dass ich nur dann maximale Leistung entfalten und in einem Projekt erfolgreich sein kann, wenn ich wirklich mit Freude und Motivation bei der Sache bin. An oberster Stelle steht immer noch die Motivation für den Berg. Ich packe nur Projekte an, die ich wirklich will. Auch wenn das nicht die beste Medienstory geben wird. Das habe ich auch mit meinen Sponsoren ausgehandelt. Ich muss nichts, umso mehr will ich es. Es ist wichtig, dass ich mich von diesem Druck am Berg frei machen kann. Ansonsten bin ich im Grenzbereich gar nicht fähig, Höchstleistung zu erbringen. Dasselbe gilt für’s Foto schiessen und Bildnachweis erbringen. Auf gemütlichen Bergtouren kann ich so viele entspannte Fotos machen, wie ich will. Aber an meinem absoluten Limit ist das einfach unmöglich. Es gibt nur den Moment, das Bergsteigen und mich. Alles andere würde mich sofort aus dem Flow holen, und das kann tödlich sein. Für viele ist das schwierig zu verstehen.

 

Deshalb die Motivation für „82 summits“? Dich völlig frei von Druck der Sache widmen?

Genau. Das Projekt an sich reizte mich schon lange. Aber vor allem war es die unglaubliche Erfahrung, jeden Tag mit riesiger Freude und Motivation aufzustehen. Jeder Tag war ein Erlebnis. Ob es letztendlich funktionieren würde, war im Grunde irrelevant. Natürlich ist es wichtig, sich ein ambitioniertes Ziel zu setzen. Nur dann kannst du dich wirklich fordern. Doch dann muss man sich wieder davon lösen und den Fokus auf jeden Schritt und jeden kleinen Fortschritt setzen. Stell dir vor, am Anfang vom Projekt, beim Start auf den Piz Bernina, da wussten wir, dass noch weit über 100‘000 Höhenmeter und 1‘700 km Distanz vor uns liegen würde. Und womöglich noch bei schlechtem Wetter. Das ist endlos! Doch wenn man diesen Tunnelblick auf das Ziel nicht loslassen kann, wird man nie los legen. Und so habe ich jeden Tag genossen. Ich hatte Freude daran, mich täglich herauszufordern. Jeder Tag hat mich einen Schritt weitergebracht. So wurden auch Schwierigkeiten und Tiefs zu einer Art Bereicherung. Und siehe da, letztendlich ist sogar meine Leistung noch besser, als wenn ich zu versessen auf das Ziel bin – aus purer Freude an der Sache! Oftmals bin ich nach 3 Gipfeln, 100 km Radfahren am selben Tag noch in die Hütte gejoggt, einfach weil’s Spass machte.

 

Ist Freude der Katalysator, um am Berg erfolgreich zu sein – und im Leben allgemein?

Absolut. Die Freude zeigt mir, was ich wirklich will, und worin ich noch besser werden will. Und nur dann kann ich ans Limit gehen. Darauf aufbauend braucht’s natürlich noch ein paar Dinge mehr: Selbstvertrauen, klare Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und Fokussierung. Ich muss frei sein von unnötiger Ablenkung. Am Berg muss ich sehr bei mir sein, meiner Intuition vertrauen können. Da gibt’s keinen Platz für Ablenkung. Ein solches Umfeld muss ich mir aber auch schaffen, damit ich Druckfrei Vollgas geben kann. Das betrifft vor allem auch Seil- und Trainingspartner oder die Fotografen, mit denen ich zusammen arbeite. Es braucht 100%iges gegenseitiges Vertrauen und Verständnis. Es kann sehr schnell passieren, dass man sich gegenseitig aus dem Flow bringt. Darum bin ich mit Leuten unterwegs, die mich gut kennen. Jeder ist wie er ist, und gibt alles. Das verhindert unnötige Diskussionen, und man kann sich voll aufs Bergsteigen konzentrieren.


So war’s auch bei 82 summits mit deinem Supporter und langjährigen Freund Daniel Mader?!

Yes, wir hatten richtig Fun und viel erlebt! Wir haben zueinander geschaut und uns gegenseitig bestärkt. So kannst du gemeinsam an die Grenzen gehen, und holst wie du jeweils sagst „das Beste aus dir und deinem Team“. Alles in allem darf ich sagen, dass ich Dank 82 summits wieder mehr zu meinem Eigenen gefunden habe. Und ich bin jetzt motivierter und fitter denn je (lacht).

 

Was ist dir wichtig für deine weitere Laufbahn als Bergsteiger und als Mensch?

Der Spass am Bergsteigen wird bleiben. Doch ich möchte neue Richtungen und Formen finden. Möglichkeiten, die für mich als Bergsteiger und als Mensch eine Heraus-forderung und eine Bereicherung sind. Wie gesagt, muss ich mich selbst „zügeln“. Projekte à la Annapurna liegen nicht mehr drin, wenn ich am Leben bleiben will.

 

Inspiration Spitzensport und Coaching Dino Beerli befassen sich mit der Frage, unter welchen inneren und äusseren Voraussetzungen Menschen ihre natürliche Fähigkeit zur persönlichen Höchstleistung und Erfüllung entfalten können. Coaching Dino Beerli begleitet Führungspersönlichkeiten und Spitzenteams dabei, das Beste in sich zu entwickeln. Infos: coaching-db.ch  Team Inspiration Spitzensport: Ueli Steck, Nina Caprez, Simone Niggli-Luder, Ariella Kaeslin, Daniel Albrecht

 

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